Ach du heilige Querlatte!

Wolfsburgs irres Alupech eröffnet dem BVB eine unverhoffte Rückkehr. Nach einem kämpferischen Kraftakt feiern Fans und Spieler von Borussia Dortmund das nächste Liga-Comeback wie eine kleine Meisterschaft.

Auch nach 40 Jahren produziert das frühere Westfalenstadion noch Neues, Irres und Ungeheuerliches. Der doppelte Lattentreffer von Wolfsburgs Ivica Olic im Geburtstagsspiel der Borussen-Heimat wird den Anhängern von Schwarz-Gelb wohl lange in Erinnerung bleiben. Innerhalb eines Wimperschlags brachte der VfL-Stürmer das Kunststück fertig, den Ball vor Füßen der Südtribüne gleich zwei Mal an die Unterkante des Tor-Gebälks zu setzen. Es hätte der zweite Treffer der Gäste sein müssen und damit vermutlich der frühe Schlusspunkt unter eine Partie, in der Borussia Dortmund überfordert schien. Doch nach diesem unfassbaren Glücksmoment wachte der BVB auf und drehte die Partie zu einem 2:1-Sieg. Als ob sie eine kleine Meisterschaft errungen hätte, ballten die Spieler nach Abpfiff die Fäuste und reckten die Arme in die Höhe. Die zuhause oft leidgeprüften Fans machten nur allzu gerne mit und feierten ihr Team ausgelassen wie lange nicht in dieser Saison.

Lange Zeit zu simpelsten Fehlern gedrängt
„Wer den Jubel gesehen hat, kann sich vorstellen, wie erleichtert wir waren“, gab BVB-Trainer Jürgen Klopp nach der umkämpften Partie freimütig zu. Denn bei nun zehn Punkten Vorsprung auf den vierten Rang und einer spektakulären Tordifferenz von plus 32 ist für den aktuellen Tabellenzweiten das Saisonziel direkte Champions-League-Qualifikation nun zum Greifen nahe. Angesichts nur noch fünf zu spielender Partien im Saisonfinale sagte Klopp: „Wir haben jetzt einen Abstand zwischen uns und den wilden Verfolgern, der uns nicht bei jedem Fehler gleich unter Druck setzt.“ Dank der gleichzeitigen Ausrutscher von Revierrivale Schalke 04, von Bayer Leverkusen und der verpassten Chance der Wolfsburger sollte mindestens Rang drei für den Vizemeister des vergangenen Jahres sicher sein.

Der Weg dahin war allerdings ziemlich beschwerlich. Gegen brutal starke Wolfsburger zeigten die müden Europapokal-Pechvögel des BVB eine schwache erste Hälfte und knöpften dabei nahtlos an die fürchterlichen ersten 45 Minuten unter der Woche in Madrid an, als der Vorjahresfinalist der Champions League zwei von insgesamt drei Treffern kassierte und aller Wahrscheinlichkeit nach den erneuten Einzug ins Halbfinale der Königsklasse verspielte. Auch gegen Wolfsburg lief der BVB zunächst beständig hinterher, ließ sich immer wieder zu simpelsten Fehlern drängen und hatte alles Glück der Welt, dass die Partie zur Halbzeit nicht schon zu Gunsten der Gäste entschieden war.

Olics doppeltes Lattenpech
„Bei 19 Torabschlüssen ist ein Treffer wohl zu wenig“, sagte Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking enttäuscht und mit einem Achselzucken. Olic hatte mit einer ersten Großchance in der 11. Minute den VfL-Chancenwucher eingeläutet, Kevin de Bruyne trat in der 24. Minute frei vorm Kasten deutlich zu weit dran vorbei, nur eine Minute später rettete Mitch Langerak bei Hummels Querschläger in höchster Not. Nur in der 33. Minute musste sich Dortmunds Ersatzkeeper geschlagen geben. Nachdem der Ersatz des angeschlagenen Stammtorhüters Roman Weidenfeller den Kopfball von Junior Malanda nur abklatschen konnte, war Olic per Abstauber zur Stelle und erzielte die hoch verdiente Führung (33.).

Doch dann kam die sagenumwobene Szene, die ihren Platz in der ruhmreichen Geschichte des Dortmunder Fußballtempels einnehmen wird: Nach einer Maßflanke von de Bruyne setzte Olic den Ball aus kürzester Distanz an die Unterkante der Latte, der Abpraller fiel dem Stürmer-Oldie auf der Torlinie liegend erneut auf den Fuß und ging wieder ans Gebälk (40.). Statt 0:2 prangte weiter ein erträglicher Minimalrückstand von der Anzeigetafel, die zum Stadionjubiläum schick auf Retro getrimmt war. Dortmund konnte sein Glück kaum begreifen. Nach diesem Wunder darf man die Querlatte vor der Süd aus BVB-Sicht getrost heilig sprechen!

Wolfsburgs Spieler rennen sich über den Haufen
„In der zweiten Halbzeit ist dann der Knoten bei uns aufgegangen“, sagte ein erleichterter Klopp später. Dazu hatte der Coach der Dortmunder selbst einiges beigetragen. Denn entgegen seiner üblichen Praxis wechselte der 46-Jährige bereits nach der Pause doppelt und stellte zudem auf ein offensiveres 4-1-4-1-System um. Milos Jojic ersetzte Nuri Sahin, rückte aber weiter nach vorne als Dortmunds defensiver Mittelfeldmotor und verstärkte so den Druck auf Wolfsburgs Schaltzentrale. Linksverteidiger Erik Durms kam für den schwachen Pierre-Emerick Aubameyang und ermöglichte es Klopp, Kevin Großkreutz von der Viererkette wieder weiter nach vorne zu ziehen, wo er zumindest an diesem Abend wesentlich besser ins Spiel passte. „Ich sehe Kevin alles nach. Wir wissen, was wir an ihm haben. Aber er hat heute einige Male falsch gestanden“, erklärte Dortmunds Trainer.

Das war die richtige Lösung für das Problem, und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Stürmerstar Robert Lewandowski traf nach Marco Reus‘ Ecke mit dem Rücken zum Ausgleich (51.) und erzielte seinen 17. Saisontreffer. Danach bekam der BVB die Partie immer besser in den Griff und erarbeitete sich einige sehenswerte Angriffe. Der erneut unglückliche Henrich Mchitarjan zog nach einem Bilderbuchkonter aus nicht geahndeter Abseitsposition noch knapp am Tor vorbei, doch gut eine Viertelstunde vor Schluss schaffte Reus den Siegtreffer. Als Wölfe-Torwart Max Grün, der die verletzte Nummer eins Diego Benaglio nicht sonderlich glücklich vertrat, seinen eigenen Mitspieler Robin Knoche über den Haufen rannte und dabei den Ball aus der Hand verlor, war der Nationalspieler zur Stelle und musste den Ball nur noch über die Linie schieben.

Ab jetzt nur noch zweite Halbzeiten für den BVB?
Trotzdem blieb Wolfsburg dran und erarbeitete sich mutig weitere Chancen. Bei einem Sieg wären die hoch ambitionierte Niedersachsen bis auf fünf Zähler zum BVB aufgerückt und hätten damit sogar Rang vier erobert. Doch das mittlerweile fast auf Europapokal-Niveau aufgeputschte Publikum brüllte sein Team einfach über alle Schwierigkeiten hinweg. Wie schon vor einer Woche in Stuttgart, wo Dortmund sogar einen Zwei-Tore-Rückstand erfolgreich drehte, glückte dem BVB erneut ein Liga-Comeback.

Für die Königsklasse ist eine solche Aufholjagd angesichts der 0:3-Hypothek aus dem Hinspiel wenig wahrscheinlich. Aber für einen anständigen Abschied von der großen Bühne war es immerhin eine gelungene Generalprobe. Das simple Rezept fürs Rückspiel gegen Real Madrid hat Trainer Klopp schon parat: „Am Dienstag müssen wir zwei zweite Halbzeiten spielen.“

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