Erik Durm: “Als Jürgen Klopp mich fragte, musste ich nicht groß überlegen”

Der Shooting-Star von Borussia Dortmund erzählt im Interview mit Athletic Brandao, wie er vom Drittliga-Stürmer zum Außenverteidiger mit Perspektive umgeschult wurde und warum sein BVB-Teamkollege Marcel Schmelzer kein Konkurrent ist.

Erik Durms Karriere liest sich wie ein Märchen: Vor anderthalb Jahren spielte er noch in der 3. Liga gegen den Abstieg, inzwischen kämpft er in der Nationalmannschaft um einen Stammplatz auf der linken Abwehrseite . Mit nur 19 Bundesliga-Spielen auf dem Buckel schaffte er den Sprung in den WM-Kader und wurde mit dem DFB-Team Weltmeister. Nachdem er in Brasilien auf der Bank saß, soll der 22-Jährige beim Umbruch der Nationalelf eine aktive Rolle einnehmen. Bundestrainer Joachim Löw hält große Stücke auf den Verteidiger, der vor gar nicht allzu langer Zeit noch Stürmer spielte.

Im Interview mit Athletic Brandao erzählt der Youngster, warum er seinen Platz im Angriff gerne aufgab, wie es ist, wenn Argentiniens Star Angel Di Maria auf einen zuläuft, und warum er Teamkollege Marcel Schmelzer weder beim BVB noch in der Nationalelf als Konkurrenten sieht.

Athletic Brandao: Herr Durm, Ihr Teamkollege Kevin Großkreutz hat sich den WM-Pokal als Tätowierung auf die Schulter malen lassen. Wäre das auch was für Sie?
Erik Durm: Theoretisch schon. Ich habe mir Gedanken über ein Tattoo gemacht, ich weiß aber noch nicht, wie es genau aussehen soll. Und ob ich es wirklich mache? Mal schauen.

Holen Sie sich für zuhause einen kleinen WM-Pokal als Erinnerung an die tolle Zeit?
Ja, das wäre schon cool. Eine Vitrine für die Medaille, einen Pokal, die Fußballschuhe, das Trikot. Alles, was dazu gehört. Das werde ich in Angriff nehmen. Auf die WM bin ich sehr stolz. Brasilien war ein intensives, schönes Gefühl, an das ich mich gerne erinnere.

Wie war das WG-Leben im Campo Bahia, dem Quartier der Nationalmannschaft?
Super! Jedes Haus hatte eine tolle Mischung, da hat unseres keine Ausnahme gemacht. Das waren alles klasse Jungs. Wir konnte immer was zusammen machen, ob Karten spielen, Billard, Playstation, ganz egal.

Sind Sie denn eigentlich ein WG-Typ?
Klar, ich habe früher in Mainz in einer WG gewohnt, als ich noch dort gespielt habe. Es gibt nichts Besseres als eine Männer-WG mit besten Kumpels. Da gibt‘s immer was zu tun, immer was zu lachen.

Wer war der WG-Chef bei Ihnen in Brasilien?
Den gab es eigentlich gar nicht. Wir hatten zwar Mats Hummels und Thomas Müller im Haus…

…und sogar Nationalmannschafts-Kapitän Philipp Lahm…
…und trotzdem hat keiner den Chef raushängen lassen. Alles ganz easy, mit einem tollen Teamgedanken. Auch eine Bayern-Dortmund-Rivalität gab es überhaupt nicht. Die gehört bei der Nationalelf ohnehin ausgeblendet. Wir haben für ganz Deutschland gespielt.

Als Sie für die WM nominiert wurden, waren Sie als einziger echter Linksverteidiger sogar ein Kandidat für die Startelf. Haben Sie mal gedacht, “Mensch Jogi, bring endlich den Spezialisten”?
(lacht) Natürlich hätte ich mich darüber gefreut, und wenn ich reingekommen wäre, hätte ich alles gegeben. So wie ich auch im Training immer alles gegeben habe. Ich bin ja Fußballer genug, um spielen zu wollen. Aber dieses Jahr ist für mich soviel Positives passiert, dass es schon sensationell war, überhaupt dabei zu sein. Vor zwei Jahren bei der EM habe ich noch vorm Fernseher gesessen und die deutsche Mannschaft angefeuert. Bei der WM war ich dann plötzlich selbst dabei und habe das Team dann eben von der Bank aus unterstützt. Genau wie alle anderen, selbst die Stars: wie Per Mertesacker oder Lukas Podolski. Das war unser Beitrag zum Titelgewinn.

Die Zeit auf der Bank dürfte nun erst einmal vorbei sein. Der Bundestrainer hat kürzlich den sanften Umbruch im deutschen Team verkündet und Ihnen öffentlich mehr Einsätze versprochen.
Echt? Das habe ich gar nicht so richtig mitbekommen. Ich habe mir fest vorgenommen, nicht so viel aufzuschnappen, was berichtet wird, weil ich mich voll auf den Fußball konzentrieren will. Ich habe noch viel Arbeit vor mir, das weiß ich auch. Gegen Argentinien etwa haben ja alle gesehen, dass es nicht so einfach ist, wenn ein Spieler wie Angel Di Maria plötzlich mit Tempo auf dich zuläuft. Das ist ganz schön schwer zu verteidigen. Im Moment versuche ich, alles aufzuschnappen, was mir weiterhilft. Alle Tipps, alle Ratschläge, von den Spielern, vom Trainerteam, hier bei der Nationalelf und bei Borussia Dortmund.

Hat der Bundestrainer schon mit Ihnen über das Testspiel gesprochen?
Ja, er hat mir gesagt was schlecht war, aber vor allem auch, was gut war. Das gab es ja durchaus auch gegen Argentinien. Die Fehler müssen wir abstellen und dann im ersten EM-Qualifikationsspiel gegen Schottland drei Punkte holen, bei uns zu Hause in Dortmund.

Was bedeutet Ihnen ein Heimländerspiel? Ist das noch einmal was Besonderes?
Bislang durfte ich es ja noch nicht erleben, aber ich glaube schon, dass es so ist. Ich freue mich auf jeden Fall sehr darauf.

Sie waren lange Stürmer, und haben erst vor kurzer Zeit auf Verteidiger umgeschult. Wie kam es dazu?
Ich habe in der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund gespielt, und eines Tages, spät in der Rückrunde 2012/2013, kam Jürgen Klopp nach dem Training zu mir und sagte, er kann sich vorstellen, dass ich ein Bundesliga-Verteidiger bin. Wenn ein Trainer wie er so etwas sagt, ist das natürlich riesig. Bundesliga war immer mein Ziel, da musste ich also nicht groß überlegen. Ich war ja auch nicht so vermessen zu sagen, ich verdränge jetzt Robert Lewandowski aus dem Sturm des BVB.

Wie schwierig war die Umstellung?
Puh, ich musste das Verteidigen fast völlig neu lernen. Ich war ja 14 Jahre lang ein Neuner, ein echter Stürmer. Da muss man zwar auch defensiv mitarbeiten, aber es ist ja etwas anderes, wenn dann plötzlich so ein Gareth Bale auf dich zuläuft.

Wer hat Ihnen geholfen?
In Dortmund haben wir so viele tolle Jungs, die dafür in Frage kommen. Von Lukasz Piszczek und Marcel Schmelzer habe ich mir natürlich viel abgeschaut. Oder jetzt bei der Nationalelf von Philipp Lahm: Das Gefühl dafür, als Außenverteidiger relativ hoch zu stehen und doch die Linie zu finden, das hat Philipp zum Beispiel immer klasse drauf gehabt.

Wie lange dauert so ein Prozess?
Ich bin ja erst seit gut einem Jahr Verteidiger. Mit dem Lernen ist für mich noch lange nicht Schluss. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht dazulerne. Da sind noch einige Schwankungen drin, aber insgesamt wird es ständig besser. Wir wollen mal sehen, was am Ende dabei rauskommt. (lacht)

Es könnte die skurrile Situation entstehen, dass Sie in der Nationalelf spielen und im Verein hinter Marcel Schmelzer auf der Bank sitzen. Wie halten Sie diesen Konkurrenzkampf aus?
Ich habe es schon oft gesagt und sage es gerne noch einmal: Marcel und ich sehen uns nicht als Konkurrenten, wir verstehen uns gut. Auf dem Platz gibt jeder hundert Prozent und versucht sein Bestes. Wer letztlich spielt, hat es auch verdient. Da ist überhaupt kein Neid dabei, wir versuchen vielmehr, uns gegenseitig zu pushen und geben uns auch Rückendeckung. Das sollte in jedem guten Team so sein.

Linke Seite, rechte Seite. Sie sind überall einsetzbar. Welche liegt Ihnen denn mehr?
Schwer zu sagen. Vielleicht ein Tick lieber links, weil ich da das Tempo etwas besser mitnehmen kann. Aber ganz am Anfang habe ich rechts gespielt und mich da auch wohl gefühlt. Für mich ist es aber erst mal wichtig, dass ich überhaupt spielen darf und in der Bundesliga dabei bin. Alles andere ist zweitrangig.

Haben Sie Vorbilder? Als Verteidiger, oder aus ihrem früheren Leben als Stürmer?
Früher schon. Luis Figo, als er bei Real Madrid gespielt hat. Das war einfach ein geiler Kicker, mit einem super Fuß, einer klasse Technik, der tolle Freistöße geschossen hat. Der hatte Präsenz auf dem Rasen und das Spiel gelenkt. Die Schuhe, die Figo anhatte, das Trikot: das hatte ich dann auch alles.

Wann sehen wir das erste Tor des Stürmers im Ruhestand?
Ich habe schon mal den Fehler gemacht, dass ich mich zu sehr unter Druck setze. Bei der zweiten Mannschaft wollte ich es erzwingen, das hat dann nicht so geklappt. Deswegen mache ich mir da jetzt gar keinen Stress. Außerdem fragt sowieso keiner der 80.000 im Stadion: Wann macht denn der Erik endlich mal sein Tor? Wenn es irgendwann soweit ist, schön. Aber das ist nicht meine wichtigste Aufgabe.

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