Heimsieg über Hertha: Der Spektakel-BVB kann’s auch mit Geduld

Borussia Dortmund fügt seinem Repertoire die Variante „Arbeitssieg“ hinzu. Vereinzelt schimmert auch gegen Berlin der Glanz der jüngsten Gala-Auftritte durch.

Es ist wohl bezeichnend für den Zustand von Borussia Dortmund, dass die netten Geschichten, die fürs schwarz-gelbe Gemüt, zurzeit ganz beiläufig anfallen. So wie nun beim Heimsieg über Hertha BSC, als in der dritten Minute der Nachspielzeit Adrian Ramos der 3:1-Schlusspunkt gelang.

Der oft verletzte und bislang nur sporadisch eingesetzte Stürmer durfte sich gegen die alten Kollegen über sein erstes Bundesliga-Tor nach fast einem Jahr Pause freuen. Und die BVB-Fans im früheren Westfalenstadion jubelten über die alleinige Tabellenführung. „Das war ein ganz emotionales Ende für uns alle“, sagte sogar der sonst doch eher analytisch auftretende Trainer Thomas Tuchel.

Selbstkritischer Hummels
Eigentlich ging es aber um etwas ganz anderes: „In erster Linie war uns wichtig, den Sieg nach Hause zu fahren“, gestand Tuchel. Das war – obwohl hoch verdient – schwer genug. Denn nach dem Anschlusstreffer der Berliner durch den Abseits-Abstauber durch Salomon Kalou in der 78. Minute musste der BVB um den achten Erfolg im achten Pflichtspiel der jungen Saison zittern. Ein dummer Querschläger hätte gereicht, und die Borussia wäre trotz erneut bester Chancen nur mit einem Punkt vom Platz gegangen.

Es gehört zur neuen, oder besser; wiederentdeckten Qualität der Westfalen, sich nicht umwerfen zu lassen und zur Not mal einen Arbeitssieg“ einzufahren. „Wir wissen, dass wir kein gutes Spiel gezeigt haben. Aber wir haben gewonnen und das ist das Relevante“, sagte Kapitän Mats Hummels, einer der Besten seines Teams, offen und ehrlich.

Glück gehabt – oder gut verteidigt?
„Es war ja offensichtlich, dass wir uns schwer getan haben“, gab Tuchel zu. Sein strapaziertes Team hatte es im vierten Spiel innerhalb von nur elf Tagen gleich mit vier Gegnern zu tun: der irren Hitze, der Müdigkeit, dem nach dem Regenspiel in der Europa League ramponierten Rasen und einer ultra-defensiven Hertha. Die Gäste traten mit einem Vierer-Mittelfeldriegel vor einer Fünfer-Abwehrkette an und ließen keinen Millimeter Platz für Dortmunder Offensivwirbel.

Die Borussia hatte anfangs sogar Glück, dass Hummels den enteilten Berliner Angreifer Genki Haraguchi gerade noch einfing (15. Minute) und dass Torhüter Roman Bürki beim gefährlichen Aufsetzer von Vladimir Darida (20.) rechtzeitig die Fäuste hoch bekam. „Da haben wir zwei Mal Glück gehabt“, sagte Tuchel – korrigierte sich augenzwinkernd aber schnell noch zur selbstbewussten Antwort: „Da haben wir zwei Mal sehr gut verteidigt.“

Mit einer kurzen Ecke zum Erfolg
„Wenn wir in Führung gehen, will ich mal sehen, wie Dortmund darauf reagiert. Sie haben jetzt schon viele Spiele in den Knochen“, sagte Herthas Sebastian Langkamp mit einiger Berechtigung. Das Dortmunder Führungstor in der 27. Minute stellte zwar nicht das Spiel auf den Kopf, aber doch das anfängliche Chancenverhältnis. Wenig überraschend, dass der BVB einen halben Standard zum Erfolg brauchte: Eine kurze Ecke von Reus löffelte der überragende Shinji Kagawa kunstvoll auf den Kopf von Hummels. Erst mit dessen Treffer im Rücken entwickelte sich das Spiel nach den Vorstellungen der Gastgeber, die in beiden Liga-Partien zuvor traumhaften Fußball geboten hatten.

Nach Traumtor zur Balance gefunden
Beim zweiten Dortmunder Treffer brach eben jener Glanz, jene Leichtigkeit hervor: Nach Kagawas sensationellem Lupfer hatte der erneut als Rechtsverteidiger eingesetzte Matthias Ginter das Auge für Pierre-Emerick Aubemayang. Der Gabuner brauchte den Ball nur einzuschieben und durfte sich über seinen siebten Pflichtspieltreffer freuen (51.). „Das war ein tolles Tor gegen einen komplett verteidigenden Gegner“, lobte Tuchel.

Nach diesem wunderbar herausgespielten Erfolgserlebnis fand sein Team die perfekte Balance für den Sommerkick: Schwarz-Gelb spielte ausgeruht nach vorne, nun vom ursprünglichen 4-2-3-1 in ein raumöffnendes 4-3-3 wechselnd, mit Ilkay Gündogan, Julian Weigl und dem weit zurückhängenden Henrich Mchitarjan als Dreierkette im defensiven Mittelfeld. Im geeigneten Moment explodierte die Borussia, nur das dritte Tor wollte zunächst nicht fallen.

Ein Blick auf die Ewige Tabelle lohnt
Weil Kagawa (72.) der ungewöhnlich blasse Marco Reus (75.) und Mchitarjan (83.) allerbeste Möglichkeiten gegen die nun immer bedenklicher wackelnden Berliner fahrlässig liegen ließen, wurde es nach dem Anschlusstreffer spannend. Eine echte Chance zum Ausgleich hatten die Gäste nicht, aber dem BVB-Trainer reichte schon allein die Gefahr, um unzufrieden zu sein: „Ich habe mich geärgert, dass das Feld aufging und wir über die Seite angreifbar waren.“

Doch auch das zeichnet die Borussia der 53. Bundesliga-Saison aus: Sie reißt beißt auf die Zähne und bringt das Spiel nach Hause. Am Ende durften die Spieler wie in besten Zeiten vor der Gelben Wand Pogo tanzen, zu „Borussia, wir sind immer für dich da!“ Dass der BVB durch die drei Punkte in der Ewigen Tabelle am VfB Stuttgart vorbeigezogen ist und dort nun Rang vier belegt, interessierte da nur am Rande.

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