Bewährungsprobe für Bosz

Borussia Dortmund ist immer noch Tabellenzweiter in der Bundesliga, doch der jüngste Abwärtstrend bereitet große Sorgen. Schon im Topspiel gegen die Bayern ist der Trainer als Krisenmanager und kompromissfähiger Kommunikator gefragt.

(Dieser Artikel lief am 3. und 4. November bei zdfsport.de)

Positiv bleiben, ohne in Durchhalteparolen abzurutschen – das gehört wohl zu den schwierigsten Prüfungen im Leben eines Fußballtrainers. Peter Bosz erledigte diese Aufgabe jüngst eher leidlich. „Die Spieler müssen den Kopf hochnehmen und arbeiten“ sagte Borussia Dortmunds Coach nach der erneuten Blamage in der Champions League gegen Außenseiter APOEL Nikosia recht platt.

Immerhin nimmt Bosz die Herausforderung an, auch als Psychologe gefragt zu sein: Er will der tief verunsicherten Mannschaft Selbstvertrauen einimpfen. „Das ist mein Job“, sagt der Holländer und macht seinen Männern Mut: „Vielleicht kommt das Bayern-Spiel ja genau im richtigen Moment.“

Hoffen auf die Trendwende

Damit könnte er recht haben, denn alles andere als eine Niederlage gegen den Rekordmeister darf der BVB in seiner aktuellen Lage schon als Erfolg reklamieren. Theoretisch betrachtet könnten die Westfalen also unverkrampft an die Aufgabe rangehen, die trotz des Dortmunder Durchhängers ja immer noch das Spiel Erster gegen Zweiter ist.

Anders als viele Fans von Schwarz-Gelb, die nach der kreativen Implosion ihres Teams nun dem Prestigeduell mit den Münchnern entgegenfiebern wie einer Schmerzstunde beim Zahnarzt, hat Bosz Hoffnung auf eine schnelle Trendwende.

Wahrheit liegt in der Mitte

Nicht völlig unberechtigt, denn so wenig beim besten Saisonstart der Vereinsgeschichte alles Gold war, was glänzte, ist nun alles mies: Schon zu Beginn der Spielzeit hätte die anfangs beste Abwehr der Liga viel mehr Tore kassieren können, allein gegen Gladbach. Schon in Freiburg und Augsburg bot die Borussia Unterdurchschnittliches.

Dagegen wurde der BVB in der Königsklasse mehrfach vom Schiedsrichter benachteiligt, und wenn Pierre-Emerick Aubameyang und Andrey Yarmolenko zuletzt nur einen Bruchteil ihrer Großchancen genutzt hätten, stünde die Borussia statistisch top da.

Systemfrage gehört dazu

Boszs simple, aber keineswegs triviale Aufgabe ist, an die guten Ansätze des Offensivspektakels zu erinnern und trotz des Drucks eine positive Stimmung zu schaffen. Er muss seine Spieler vom giftigen Gedanken befreien, in fünf Wochen womöglich elf Punkte auf München zu verdaddeln.

Bosz wird aktiver als bislang am Spielfeldrand Einfluss nehmen, das deutete sich bereits an. Und der 53-Jährige wird sich selbst hinterfragen, um am Lernprozess zu wachsen. Sein Spielsystem, über das schon lange vor Beginn des Abwärtstrends diskutiert wurde, ist nicht alleinverantwortlich für die Krise. Neben Verletzungspech und Formschwäche ist es aber Teil des Gesamtproblems.

Taktik-Varianten liegen bereit

So langmütig der neue Coach zu Saisonbeginn den Verkauf von Ousmane Dembélé hinnahm und lässig das Wechseltheater um Stürmerstar Aubameyang wegmoderierte, so hartnäckig hält der Holländer nun am gewöhnungsbedürftigen 4-3-3 fest, an der „voetbal total“-Schule aus seiner Heimat.

Ob das konsequent ist oder stur, darüber lässt sich streiten. In jedem Falle ist es eine verschenkte Chance, denn Vorgänger Thomas Tuchel hat neben zerbrochenem Porzellan auch ein reichhaltiges Repertoire an taktischen Varianten hinterlassen, auf das sich leicht zurückgreifen ließe. Sei es nur kurzfristig, um Sicherheit zurückzugewinnen und den Punch der ersten Wochen.

„Einen Plan B gibt es nicht“

Wenn selbst treueste Fans über „Harakiri-Fußball“ und die „Verbandsliga-Abwehr“ des eigenen Teams spotten, sollte die Frage erlaubt sein, ob ein zweiter „Sechser“ zur defensiven Absicherung im Mittelfeld nicht doch nützlich ist; ob eine Dreierkette hilft, im Zentrum Räume zu verdichten; ob der einst als Hummels-Nachfolger geholte Marc Bartra mit seinen strategischen Fähigkeiten im Spielaufbau auf Rechtsaußen verschwendet ist; oder wie sich der BVB aus der Abhängigkeit von Torjäger Aubameyang lösen kann, dessen Torflaute nur das Symptom der BVB-Leistungsdelle ist, aber nicht dessen Ursache.

„Einen Plan B gibt es nicht. Genau das macht die derzeitige Situation so kompliziert. Und diesen Schuh muss sich Bosz anziehen“, urteilt der „kicker“.

Niemand will Trainerdiskussion

Noch bleibt genügend Zeit und Spielraum für Korrekturen und Anpassungen. Die Spieler stehen hinter Bosz. „Da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Mit der Mannschaft und mit dem Trainer“, sagt Kapitän Marcel Schmelzer. Das Vertrauensverhältnis habe „nullkommanull“ gelitten, sagt Nuri Sahin. Borussias Führung würde eine Trainerdiskussion ohnehin lieber vermeiden.

Die Vehemenz, mit der BVB-Chef Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc Berichte über eine Krise als „krank“ oder „schizophren“ abkanzelten, geben einen Hinweis. Nach der hässlichen Trennung von DFB-Pokalsieger Tuchel würde ein weiterer Rausschmiss auch Dortmunds Macher beschädigen.

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