Das DFB-Team verdrängt das Italien-Trauma

Mit starkem Fußball, tollen Toren und einem Kantersieg in Irland vertreibt die deutsche Nationalmannschaft gleich mehrere böse Geister – jedenfalls vorerst.

Vermutlich war es nur ein dummer Zufall, dass ausgerechnet Giovanni Trapattoni herhalten musste für diese ganz spezielle Vergangenheitsbewältigung der deutschen Nationalmannschaft. Aber es passte natürlich perfekt: Der italienische Trainer der irischen Auswahl rutschte nervös auf seinem Stuhl auf dem Podium hin und her, kurz davor, eine Neuauflage der kultigen Flasche-Leer-Rede zu halten. Mit hochrotem Kopf und ausladender Gestik war der Coach des hoffnungslos unterlegenen Gruppengegners der DFB-Elf bemüht, Contenance zu wahren: die 1:6-Packung im WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland, die höchste Heimniederlage Irlands, brachte den früheren Commissario Tecnico der Squadra Azzura in höchste Erklärungsnot, während die Gäste vom Kontinent mit einem der überzeugendsten Auftritte des Fußballjahres 2012 zumindest vorerst ihr Trauma verdrängten: gegen Traps taktikaffines und vielleicht sogar überlegenes Heimatland bei der EM gescheitert zu sein.

Löw: “Wir haben die Balance gefunden”
„Dieser Sieg ist auch in der Höhe verdient“, sagte Trapattonis Gegenüber Joachim Löw mit einer ungewohnten Mischung aus Stolz, Genugtuung und Erleichterung, nach einem durchgängig angenehmen Herbstabend in Dublin mit hübschen Spielzügen, tollen Toren und einem ordentlichen Schub fürs eigene Selbstbewusstsein. „Der Gegner hat ein bisschen einfallslos gespielt, mit Bällen achtzig Metern nach vorn.“ Für den Bundestrainer und alle anderen „Opfer Balotellis“ endete mit dem überzeugenden Erfolg auf der grünen Insel fürs Erste eine Phase externer Kritik, die dieser in der Art und Weise in seiner sechsjährigen Laufbahn als oberster Fußballcoach des Landes noch nicht erlebt hatte.

Nach der harschen Auseinandersetzung nach dem Halbfinal-Aus bei der EURO hatte Löw auch jüngst noch viel Gegenwind erfahren. Zum Beispiel, weil sein hochbegabtes Team zum Auftakt der neuen Saison den Beweis seiner Klasse mehrfach schuldig geblieben war. „Jetzt stimmt bei uns der Rhythmus wieder“, sagte der 52-Jährige nun trotzig und schloss für sich vor allem das Kapitel Österreich-Länderspiel ab. „Wir haben heute die richtige Balance gehabt zwischen temporeichem Spiel nach vorne und Geduld bei gegnerischem Ballbesitz.“ In Wien war das nicht gelungen. Dort hatte das DFB-Team nur mit viel, viel Glück einen Sieg eingefahren und dafür medial ordentlich Prügel bezogen.

Wahnsinnspassgeber Schweinsteiger und Scharfschütze Kroos
Auch im neuen Stadion an der Lansdowne Road in der irischen Hauptstadt startete der Zweite der FIFA-Weltrangliste alles andere als berauschend. Eine halbe Stunde lang blieben die Männer in Schwarz und Weiß ohne einen einzigen Torschuss und nährten den Verdacht, dass eben doch nicht alles stimmt beim großen Favoriten, der so gerne auf heile Welt macht. Doch dann wischte ein doppelter Geniestreich von Marco Reus noch vor der Pause alle Fragezeichen beiseite: im deutschen Team – und auf der Pressetribüne.

Danach ließ ein stark ersatzgeschwächtes irisches Team alle Hoffnung fahren, die Sensation zu schaffen. Die DFB-Elf fand im zweiten Durchgang zur wunderbaren Leichtigkeit der Vor-EM-Zeit zurück und kam mühelos zu weiteren großartigen Spielzügen und sehenswerten Toren. Mesut Özils souveräner Treffer per Elfmeter ist damit natürlich weniger gemeint als etwa Miroslav Kloses 65. Länderspieltreffer, dem ein Wahnsinnspass von Aushilfskapitän Bastian Schweinsteiger vorausging. Oder der Distanzschuss-Doppelpack von Münchens Scharfschütze Toni Kroos, der den leicht angeschlagenen Sami Khedira nach dem Wechsel nahtlos ersetzte.

Causa Schmelzer – halbherzig gelöst
Wenn die deutsche Mannschaft gewollt hätte, wäre der Abend für Trapattonis Boys in Green vermutlich zu einem noch größeren Desaster geworden. Doch beim Stande von 5:0 – nach nur einer Stunde – hatten die DFB-Kicker längst Mitleid mit den Iren, die sich angesichts dieser Demütigung auch nicht mehr auf ihre sonst so grandiosen Fans verlassen konnten. Deutschland steht mit neun Punkten und 11:2 Toren aus drei Spielen klar auf Kurs Richtung nach Brasilien, schon vor der anstehenden schweren Aufgabe gegen Schweden am Dienstag in Berlin. Diskussionen über mangelnden Teamgeist lassen sich mit dieser Bilanz im Rücken locker ertragen.

Folglich konnte sich der Bundestrainer leisten, auch noch großzügig den letzten Konfliktherd zu löschen, den er vor der Partie unbedacht selbst angefacht hatte: „Marcel Schmelzer hat heute wirklich gut gespielt“, sagte Löw, nachdem er tags zuvor seinen linken Außenverteidiger von Borussia Dortmund noch öffentlich angezählt hatte. Endgültig ausräumen wollte er das Thema aber selbst im Gefühl des Sieges nicht: „Ich bin vielleicht auch etwas falsch verstanden worden.“

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