Comeback eines Traditionsklubs: 
Mustafis Valencia mischt die spanische Liga auf

Trotz des ersten Punktverlusts vor eigenem Publikum gegen Athletic Bilbao bleibt der FC Valencia die Mannschaft der Stunde in der Primera Division. Noch vor einigen Monaten stand der ruhmreiche Klub am Abgrund.

Gut eine Stunde vor der Partie wird es richtig laut in der Avenida de Suecia inmitten Valencias. Die riesigen Tribünen des altehrwürdigen Stadions Mestalla auf der einen Seite und die hohen Stadthäuser auf der anderen Seite bilden eine Schlucht, in der sich die ohnehin lauten Fangesänge perfekt verfangen. Auf dem ersten Balkon der Arena, riesige Bilder früherer Klub-Helden im Hintergrund, spielt eine Bläser-Combo zum Empfang auf. Der Bus mit den Spielern des FC Valencia ist soeben eingetroffen. Die Kicker in Weiß und Schwarz sollen der fußballverrückten Metropole am Mittelmeer den Stolz zurückgeben.

Am 11. Spieltag der Primera Division gegen Athletic Bilbao gelingt das mit einem 0:0 zwar nur teilweise. Es sind die ersten Punkte überhaupt, die der FC Valencia vor eigenem Publikum abgibt nach zuvor fünf Heimsiegen in Folge. Trotzdem steht der Klub mit 24 Punkten in der spanischen Liga so gut da, wie lange nicht. Die Aficionados haben allen Grund, auf ihr Team stolz zu sein. Als Tabellendritter liegen die Fledermäuse nur einen Zähler hinter dem FC Barcelona, und sogar Champions-League-Sieger Real Madrid an der Spitze ist mit drei Zählern Abstand in Reichweite.

Ein Milliardär muss her
Dabei befinden sich die Blanquinegros, die Weiß-Schwarzen, gerade in einem unglaublichen Umbruch – auf allen Ebenen. Vor der Saison wurde der Kader komplett auf links gedreht: 20 Spieler mussten gehen, 15 wurden neu geholt. Ökonomisch hat sich das gelohnt, denn der Klub erwirtschaftete dabei einen Überschuss von 16 Millionen Euro für die klamme Kasse. Das kann nicht schaden, ist aber nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Denn die Schulden liegen bei 320 Millionen Euro. Vor einigen Monaten stand der Klub deswegen kurz vorm Konkurs. Im Januar gestand Präsident Amadeo Salvo den Mitgliedern, dass es ohne Investor nicht mehr weitergeht.

Aber an das Schreckensszenario Untergang denken die Fans der „Che“ heute nicht mehr. Denn ein aus Singapur stammender Milliardär hat die Mehrheit am Klub übernommen. Der Investor Peter Lim musste sich dafür mit dem Großgläubiger „Bankia“ auf eine Umschuldung einigen, um das Konkursverfahren abzuwenden. 94 Millionen Euro hat Lims „Meriton Holdings Limited“ für 70,04 Prozent der Anteile bezahlt. Die Erlaubnis der Behörden zu dem Deal dürfte bald erfolgen. Was Lim aus dem Traditionsverein machen will, steht dagegen in den Sternen. Angeblich will er viel Geld ins Team stecken und auch den Stadionrohbau vor den Toren der Stadt bis zum hundertjährigen Jubiläum des Klubs im Jahr 2019 fertig stellen. Seit Jahren wartet das „Nou Mestalla“ darauf, seine Bestimmung zu erfüllen.

Durchlauferhitzer für den Superberater
Genauso stellt sich die Frage, ob Valencia für den Mäzen aus Fernost wirklich mehr ist als eine willkürliche Wahl. Zuvor hatte der mit Aktienspekulationen zu Reichtum aufgestiegene 61-Jährige erfolglos versucht, beim FC Liverpool, dem AC Milan, den Glasgow Rangers und dem FC Middlesbrough ein Bein in die Tür zu bekommen. Außerdem besitzt er neuerdings 50 Prozent am unterklassigen englischen Klub Salford City FC, dem Spielzeug der Man-United-Legenden Ryan Giggs, Paul Scholes und der Neville-Brüder. Angesichts des drohenden Bankrotts nehmen die Fans in Valencia diese Unsicherheit als kleineres Übel aber gerne hin. Bei seinem ersten Auftritt im ruhmreichen Mestalla mit seiner megasteilen Gegentribüne wurde der neue Besitzer sogar mit einer netten Choreo empfangen.

Auch dessen Verbindung zu Jorge Mendes scheint keinen zu stören. Der aktuell wohl einflussreichste Berater in der Welt des Fußballs, der Jose Mourinho oder Ronaldo zu seinen Klienten zählt, hat keine offizielle Funktion bei Valencia. Über Lim hat er sich den Klub aber wohl als neues Spielfeld ausgesucht, um ihn als Durchlauferhitzer zu benutzen. Noch freuen sich die Fans, dass der einflussreiche Portugiese Namen anlockt, die sonst nicht an die Costa del Azahar fänden: Wie etwa das 21-jährige Toptalent Andre Gomes, das für 12 Millionen Euro von Benfica Lissabon kam. Spannend wird es, wenn Mendes seine Spieler an Europas Elite weiterreicht – und dieser Zeitpunkt kommt bestimmt. Alleine vor dieser Saison verdiente er mit den Transfers von Radamel Falcao, Angel di Maria, James Rodriguez oder Diego Costa 30 Millionen Euro an Provision.

Abwehr umgebaut – Abwehr steht
Auch der neue Trainer ist ein Mendes-Zögling: Der Portugiese Nuno Espirito Santo, Künstlername Nuno, war einst als Ersatzkeeper des FC Porto sein erster Klient überhaupt. Der heute 40-Jährige ist bislang ein unbeschriebenes Blatt im Business. Beim FC Malaga und bei Panathinaikos Athen verdiente er sich erste Sporen, allerdings als Torwart-Coach. In den vergangenen beiden Jahren betreute er dann als Chef den Rio Ave FC in Portugal. Beim FC Valencia ist er seit Sommer 2012 schon der siebte Trainer, und ob das Karussell nächsten Sommer zum Stillstand kommt, ist angesichts seines Ein-Jahres-Vertrages völlig offen. Bislang macht er seinen Job aber überraschend gut. Nuno scheint einen Plan zu haben, wie er die Mannschaft voranbringt. Anders ist der Erfolg in „La Liga“ nicht zu deuten.

Denn dass die Revolution des Traditionsklubs bislang überhaupt sportlich erfolgreich ist, ist das eigentliche Wunder. Der Europa-League-Halbfinalist des vergangenen Jahres hat zum Beispiel seine komplette Viererkette verkauft – ohne Einbuße an Klasse. Außenverteidiger Juan Bernat spielt beim FC Bayern (11 Mio. Ablöse) groß auf, wird aber an alter Wirkungsstätte kaum vermisst. Gleiches gilt für die Frankreich-Fraktion: Abwehrchef Jeremy Mathieu (für 20 Mio. Euro zum FC Barcelona), Adil Rami (4,25 Mio., AC Mailand) und Aly Cissokho (3 Mio., Aston Villa). In dem früheren argentinischen Nationalspieler Nicolas Ortamendi (für 12 Mio. Euro vom FC Porto) und in Weltmeister Shkodran Mustafi (für 8 Mio. von Sampdoria Genua) hat Valencia Ersatz gefunden. Mit nur neun Gegentoren steht die Defensive top da, nur Barcelona kassierte bislang weniger Gegentreffer. Zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres waren es schon zehn mehr für den späteren Tabellenachten.

Del Bosque interessiert das noch nicht
Außerdem ist die Mannschaft extrem verjüngt worden, auf ein Durchschnittsalter von gut 24 Jahren. Kapitän und Spielmacher Dani Parejo ist mit 25 schon ein Routinier. Linksverteidiger Jose Luis Gaya ist erst 19, Stürmer Paco Alcacer 21, Sturmhoffnung Rodrigo 23 Jahre alt. Die Spieler sehen das positiv, so wie zum Beispiel Mustafi: „Ich bin mit meinen 22 Jahren einer der Ältesten! Das heißt, ich muss von hinten dirigieren und das Team mit führen. Das hilft mir, meine Persönlichkeit zu entwickeln.“ Der frühere Nationalstürmer Alvaro Negredo fällt mit 29 Jahren aus der Rolle, er ist von Manchester City ausgeliehen.

Valencia ist das Team der Stunde in Spanien. Nur Vicente del Bosque scheint das noch nicht zu interessieren. Für die nächsten Länderspiele in der EM-Qualifikation gegen Weißrussland und das prestigeträchtige Testspiel gegen Deutschland in Vigo hat der Nationaltrainer nur Angreifer Alcacer von den Weiß-Schwarzen eingeladen, mit vier Toren erfolgreichster Schütze Valencias – dafür aber gleich vier Neulinge anderer Klubs.

Duelle gegen Barcelona und Real kommen erst noch
Aber vielleicht ist es den Klubverantwortlichen auch erst mal ganz recht, dass ihre Mannschaft die Länderspielwoche zum weiteren Einspielen nutzen kann. Zu tun bleibt immer noch genug, das lässt sich trotz der jüngsten Liga-Erfolge sicher sagen. Schließlich wollen die Erben eines Rainer Bonhof, Mario Kempes, Santiago Canizares oder David Villa irgendwann an die großen Erfolge früherer Tage anknüpfen: 1980 feierte der Klub den Gewinn des Europapokals der Pokalsieger, 2000 und 2001 schaffte er es bis ins Finale der Champions League, 2004 ging der UEFA-Cup in die Hafenstadt. 2002 und 2004 gelangen die bislang letzten beiden von insgesamt sechs spanischen Meisterschaften.

Ganz Valencia träumt davon, endlich wieder die Phalanx der Branchenführer zu brechen. Als „das neue Atletico“ – wie schon gejubelt wurde – geht der Klub zwar nicht durch. Dazu ist die Spielweise bislang doch zu bieder. Noch fehlt Valencia die Aggressivität und der Punch des aktuellen Champions, oder die spielerische Klasse der beiden Großen, Real und Barcelona, gegen die sich Valencia in der Liga auch erst noch beweisen muss. Doch der unerwartet gute Saisonstart gibt zumindest Anlass zur Hoffnung, dass in der Avenida de Suecia auch in nächster Zeit tolle Empfänge gefeiert werden können.

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