Tottenham und der Wembley-Fluch

Dortmunds Auftaktgegner in der Champions League kämpft mit seiner schwarzen Serie. Dabei hätten die Spurs das Zeug zum cleversten Klub Englands.

(Dieser Artikel lief am 12. September bei zdfsport.de)

Ein 3:0 am Wochenende gegen Everton, Stürmerstar Harry Kane erzielte sein hundertstes Tor für Tottenham: Besser hätte die Generalprobe für die Königsklasse eigentlich nicht laufen können. Doch weil der Premier-League-Spielplan ein Gastspiel vorsah, tragen die Spurs ihre akute Heimschwäche noch mit ins Startduell der Königsklasse gegen Borussia Dortmund.

Nur ein einziger Sieg in sieben Auftritten steht zu Buche, seit die Lilywhites Wembley zum vorübergehenden Exil erkoren haben. Vergangene Saison bereits trugen die Spurs dort ihre internationalen Spiele aus, nun auch die Ligapartien. Aber wie Heimat fühlt sich das Nationalstadion noch nicht an. Auf dem fünf Meter längeren und zwei Meter breiteren Rasen hat das Team Probleme, sein kompaktes, druckvolles Spiel aufzuziehen. An der engen White Hart Lane, bis zum Abriss im Sommer das zweitkleinsten Feld der Premier League, war Tottenham zuletzt eine Macht.

Überschuss trotz Transferrausch
Ein gutes Omen also für den BVB, der in London aber nicht allzu sehr auf Serien setzen sollte. Noch einmal werden sich die Westfalen nicht so leicht durchsetzen wie 2015/16 im Achtelfinale der Europa League. Seitdem hat sich Tottenham weiterentwickelt, ohne dabei jeden Trend mitzumachen. So agierten die Spurs diesen Sommer recht moderat, als die mit TV-Geld aufgepumpte Premier League im kollektiven Transferrausch über 1,5 Milliarden Euro in neue Spieler investierte.

Neben Manchester City (244 Millionen Euro), Chelsea (202 Mio.), Man United (164 Mio.) oder Everton (158 Mio.), kommen die 89 Millionen Euro der Spurs bescheiden daher. Obwohl sich auch die Londoner beim Kauf von Davinson Sanchez (Ajax Amsterdam, 40 Mio.) einen Klubrekord erlaubten, sprang ein Überschuss raus. Aus dem oberen Tabellendrittel gelang das sonst nur dem Erzrivalen FC Arsenal.

Bale als bestes Beispiel
Selbst auf die letzten fünf Jahre hochgerechnet haben die Spurs an Transfers mehr verdient als ausgegeben. Wie Dortmund, gegen das die Spurs zu ihrem 200. Europapokalspiel antreten, setzt der Klub auf den Nachwuchs aus seiner angesehenen Academy. Zwei Spurs wurden dieses Jahr mit England U20-Weltmeister. Wie der BVB bemüht er sich um die Veredlung eingekaufter Talente und macht damit auch mal Kasse – Real Madrids Hundert-Millionen-Mann Gareth Bale als Paradebeispiel.

Jüngst verdiente der Klub 51 Millionen Euro mit dem Verkauf von Nationalverteidiger Kyle Walker an ManCity. Aber auch ohne Glamour gibt‘s Geld: Je 19 Millionen Euro brachten der früheren Kölner Kevin Wimmer (Stoke City) und Nabil Bentaleb (Schalke 04). Damit nähren die Spurs ihren Ruf als vielleicht cleverster Klub der Liga.

Neues Superstadion
Tottenham befindet sich auch nicht im Besitz russischer Oligarchen, arabischer Scheichs oder von US-Investoren. Hauptanteilseigner ist seit 2007 der Engländer Joe Lewis. Der 80-jährige Milliardär überlässt die Leitung seinem Geschäftspartner Daniel Levy. Der frühere Chef der Glasgow Rangers hält bei Tottenham schon seit 2001 als Chairman die Fäden in der Hand. Für beide gehören mittel- und langfristige Investitionen für stete Gewinne zum Businessmodell.

So steckt der Klub gerade nach eigenen Angaben hundert Millionen Euro ins Trainingsgelände. Satte 800 Millionen Euro kostet das neue Stadion, das direkt neben der altehrwürdigen White Hart Lane errichtet wird. Der Bau der teuren Superarena wird durch einen lukrativen Deal mit der NFL gestützt, die American-Football-Liga wird dort bis 2027 mindestens zwanzig Partien austragen.

Kane und Co. sind geblieben
Sportlich fehlte bisher der große Wurf, den letzten Meistertitel gab es vor über 50 Jahren. Auch hier wurden neue Voraussetzungen geschaffen. Nachdem Tottenham zuvor zehn Trainer in zwölf Jahren verschliss, führt Mauricio Pochettino nun schon im vierten Jahr Regie. Der Argentinier hat die Spurs zurück in die Spitze geführt und den ersten englischen Europapokalsieger zum Titelkandidaten entwickelt.

Pochettinos Profil liest sich wie ein BVB-Bewerbungsschreiben: Der 45-Jährige steht für Angriffsfußball, für hohes Pressing, bevorzugt im 4-2-3-1, und er hat ein Händchen für Talente. Nach Rängen fünf, drei und zwei ist den Spurs auch diese Saison zuzutrauen, mit Englands Neureichen mitzuhalten und nach dem verpatzten Königsklasse-Auftritt im vergangenen Jahr auch in Europa zu glänzen. Zwar fehlt dem Kader Breite. Aber Stars wie Englands WM-Hoffnungen Kane, Dele Alli, der gegen Dortmund gesperrt ist, oder Eric Dier widerstanden allen Lockangeboten der Konkurrenz. Dass der Wembley-Fluch bald beendet wird, dürfte wohl nur eine Frage der Zeit sein.

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