Warum der Meister noch nicht in der Spur ist

Schwache Tests, zerstückelte Vorbereitung, Schwierigkeiten durch die späte Rückkehr der EM-Fahrer. Was für die meisten anderen Teams ein Problem darstellt, ist für Borussia Dortmund: Fortschritt.

Manchmal erinnert Jürgen Klopp ein wenig an Jürgen Klinsmann, die Klubausgabe: Immer gut gelaunt, Probleme werden zu Projekten deklariert, jede Gefahr zur spannenden Herausforderung. Und über allem schwebt das große Ziel, die eigenen Spieler jeden Tag ein wenig besser zu machen. Nur dass beim Dortmunder Trainer nach drei Titeln in zwei Jahren klar ist, dass er dieses Credo auch mit Leben gefüllt hat. Und so dürfen die BVB-Fans trotz einer bislang eher holprigen Vorbereitung auf die 50. Bundesliga-Saison hoffen, dass ihr Oberstratege auch recht behält, wenn er sagt: Dortmund liegt im Soll.

Ambitioniertes Luxusproblem
„Das ist normal für alle Spitzenmannschaften“, hat Klopp jüngst verlauten lassen, als er zur späten Rückkehr der Nationalspieler befragt wurde und zu den Schwierigkeiten, die sich dadurch im Trainingsalltag ergeben. Das ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Zum einen, weil der BVB von seiner Defensivtaktik abweicht und sich inzwischen selbst als Topteam verkauft und nicht mehr nur als kleiner Herausforderer, der sich ein Jahr an die Spitze verirrt hat. Nach zwei Meistertitel und einem Pokalsieg ist es vermutlich auch höchste Zeit, das nervige Understatement zu beenden. Zum anderen aber, weil Klopp damit ausdrückt, dass er mit seiner Mannschaft vor der Saison 2012/2013 ein Risiko eingeht – ein kalkuliertes.

Vor seiner ersten Meisterschaft hatte Klopp von Anfang an fast den kompletten Kader zur Hand, um jenes atemberaubende System von Pressing und Gegenpressing einzustudieren, mit dem der BVB schließlich die gesamte Liga auf dem falschen Fuß erwischte. Heute müssen sich die Westfalen – auf zugegeben etwas niedrigerem Niveau – mit fast den gleichen Problemen arrangieren wie der FC Bayern, der regelmäßig nach Turnieren physisch und psychisch ausgelaugte Spieler zurückbekommt. Aber Klopp und der BVB denken überhaupt nicht daran, sich zu beschweren, oder den einfachen Weg einzuschlagen. Den 25-Mann-Tross mit 25 hoch x individuellen Problemen auf ein gemeinsames Niveau zu bringen, ist „ambitioniert“, wie BVB-Chef Hans-Joachim Watzke gerne zugibt. Aber auf diese neuen Luxusprobleme sind die Westfalen auch sehr stolz. Denn mehr noch als der wohl erstmals die magische 200-Millionen-Euro-Grenze überschreitende Umsatz oder die ständig steigende Attraktivität für Sponsoren drückt die Zahl der aktuellen Nationalspieler im Kader die steile Entwicklung des einstigen Bankrottkandidaten aus.

Reus einbauen? Sollte machbar sein
Dafür nimmt Trainer Klopp auch Rückschläge in den Testspielen hin. „17 Tore gegen eine Ostfriesen-Auswahl“ gehören nicht zum Plan für die Vorbereitung, sagte Klopp jüngst und presst die gewachsenen sportlichen Ansprüche wie gewohnt in eine druckreife Schlagzeile. „Wir wollen uns selbst Probleme machen in der Vorbereitung“, sagt Klopp, der über jeden Lernanreiz dankbar ist. Dass sieben Gegentore alleine in den beiden Partien in Brügge und Nürnberg allerdings zu viel des Guten, oder besser gesagt: des Schlechten, sind, versteht sich von selbst bei einem vor Ehrgeiz brennenden Trainer, der im zweiten Anlauf endlich auch in der Champions League glänzen will. „Wir haben mehr Ballbesitz, aber kommen nicht zum Abschluss und der Gegner schießt die Tore“, legte Klopp sofort nach der Nürnberg-Pleite den Finger in die Wunde, obwohl viele Startelf-Kandidaten noch gar nicht dabei waren. Auch von der zweiten Garde erwartet er in Sachen Abwehrverhalten und Spieleröffnung Bundesligareife. Damit seine Unzufriedenheit auch dem Letzten im Kader klar werde, schob er ungewöhnlich deutlich nach: „Das finde ich für den A…“

Lieber jetzt verlieren, die Probleme offen ansprechen und beseitigen, als wie im Vorjahr sanft durch die Testphase zu gleiten, sich feiern zu lassen und dann beim Saisonstart Schiffbruch zu erleiden. Damals hatte sich nach dem grandiosen Auftaktspiel gegen den HSV etwas zu viel Lässigkeit und Selbstverliebtheit in die Aktionen des Titelverteidigers eingeschlichen. Prompt fand sich der BVB am sechsten Spieltag auf Rang elf wieder – mit scheinbar unaufholbarem Acht-Punkte-Rückstand auf die Bayern. Im Übrigen fängt der BVB im Gegensatz zu 2010 heute auf einen viel höheren Level an. Die Mannschaft ist in großen Teilen eingespielt, erneut hat der europäisch gesehen immer noch kleine BVB seine überall begehrten Einzelkönner bis auf eine einzige Ausnahme beisammen gehalten. Einen Hochbegabten wie Marco Reus in dieses lebende Gebilde einzupflanzen, erscheint zumindest auf den ersten Blick relativ einfach.

Es geht aufwärts beim BVB – überall
Außerdem macht die extrem lange Sommerpause vieles einfacher. Mehr als vier Wochen bleiben noch bis zum Liga-Start. Der Supercup am 12. August spielt im Trainingsplan des Meisters keine Rolle – Prestigeduell in München hin oder her. So können Hummels, Götze und Co. derzeit in aller Ruhe auf dem Nebenplatz des Ri-Au-Stadions von Bad Ragaz in Form gebracht werden, während zum Beispiel der anfangs verletzte Patrick Owomoyela individuell um den Anschluss kämpft und der restliche Kader schon morgens vor dem Frühstück zu 1000-Meter-Läufen getriezt wird oder es später in zwei Einheiten pro Tag mit dem Ball ans Eingemachte geht.

Das alles funktioniert nur, weil sich das BVB-Wachstum längst auch im Trainerstab widerspiegelt. Insgesamt sieben Übungsleiter überwachen mittlerweile die Geschicke des kickenden Personals – auf dass die Lücke zum FC Bayern auch in dieser Hinsicht kleiner werde.

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