Reus’ Rückkehr in ein völlig neues Leben

Nun sitzt er da, in Schwarz und Gelb – endlich. Oder endlich wieder! Für die Fans von Borussia Dortmund geht eine Wartezeit zu Ende, die je nach Standpunkt nur ein halbes oder fast sechs Jahre gedauert hat. Marco Reus nimmt lässig auf dem Podium im Hotel Quellenhof Platz, dem mondänen Nobelquartier des Doublesiegers im schweizerischen Bad Ragaz und präsentiert sich erstmals in den Farben des Vereins, der ihn mit 17 Jahren für zu leicht befunden und ausgemustert hatte. Für den Mittelfeldspieler beginnt nun, sechs Monate nach Verkündung seines Abschieds aus Mönchengladbach an alter Wirkungsstätte ein völlig neues Leben. Denn für Reus ist der zweite Anlauf beim BVB weniger eine Rückkehr als vielmehr ein ganz frischer Anfang.

„Es ist ja einiges passiert in den letzten Jahren“, sagt Hoffnungsträger Reus, der gerade seine ersten beiden Trainingseinheiten im BVB-Dress in den Knochen hat. Dabei meint er gar nicht mal seinen eigenen kometenhaften Aufstieg vom Zweitligakicker in Ahlen zum Nationalspieler als vielmehr die steile Entwicklung der Dortmunder vom Bankrottkandidaten zu einer der Topadressen im deutschen Fußball. „Der Klub ist nicht der gleiche wie damals“, sagt Reus. Hier haben sich ein Spieler und ein Klub wiedergefunden, die zuletzt gleichermaßen vom Glück geküsst wurden.

Prädestiniert für die Position hinter der Spitze
Für den BVB soll der 23 Jahre alte Mittelfeldstar der Schlüsselspieler der kommenden Saison werden. An ihm wird der BVB sein Spiel ausrichten. Dabei ist noch gar nicht ganz klar, welche Position Jürgen Klopp für seine teuerste Neuerwerbung modelliert, für die der Verein und die Medien den angestaubten Begriff „Königstransfer“ aus der Mottenkiste geholt haben. „Wir wollen seine großen Fähigkeiten für uns nutzen“, gibt der Coach in der Ostschweiz zu Protokoll, „aber er muss für uns natürlich auch passend gemacht werden.“

Aufgrund seiner Spielübersicht, der überragenden Technik bei gleichzeitiger Stärke im Abschluss drängt sich Dortmunds neue Nummer 11 für den Platz hinter der Spitze förmlich auf, nachdem dieser durch den Abschied von Shinji Kagawa zu Manchester United vakant ist. Aber: „Wo ich letztlich am wertvollsten für die Mannschaft bin, werden wir noch sehen“, wehrt Reus die Frage nach einer Wunschposition ab. „In Gladbach habe ich mich auch auf der rechten, offensiven Seite wohlgefühlt.“ Nur keine Ansprüche stellen.

Duell mit seinem Buddy Götze
Der höfliche Neue will sich seinen Einstieg beim aktuellen deutschen Branchenprimus nicht mit großen Worten belasten. Gerade das Mittelfeld ist umkämpft wie kein zweiter Mannschaftsteil, hier stapelt sich das Talent, hier wird es beim BVB auch in der Spielzeit nach dem erfolgreichsten Jahr der Vereinsgeschichte die größten Härtefälle geben. Kehl, Gündogan, Bender, Leitner, Großkreutz, Perisic, Götze, Blaszczykowski, Bittencourt, Reus – diese Breite im Kader sucht ihresgleichen. Kaum auszudenken, die Dortmunder hätten auch Kagawa behalten, was durchaus möglich war. „Wir haben Marco verpflichtet, als wir noch berechtigte Hoffnungen auf Shinjis Verbleib hatten“, sagt Sportdirektor Michael Zorc.“

Im Zentrum balgt sich Reus ausgerechnet mit Mario Götze um die Rolle als falscher Neuner, wie man so schön sagt, als Spielgestalter mit der Option zum Torschuss. Beide Shooting-Stars verstehen sich prima und sind „auf einer Wellenlänge“, wie Reus sagt. Aber einer der beiden Buddys wird auf die Seite ausweichen müssen, oder sogar aus dem Team rotieren, wenn Klopp – wie zu erwarten ist – an seinem geliebten Spielsystem 4-2-3-1 festhält. Die Seite wäre für Reus durchaus eine Option, und selbst sein Einsatz als Spitze wäre denkbar. „Unser Spiel wird sich ändern. Ich sehe darin auch die Chance, einen größeren Variantenreichtum ins Spiel zu bekommen“, sagte Klopp kürzlich der „Welt“ und sieht die enormen Alternativen rein positiv.

Rolls-Reus bringt die PS auf die Straße
Mit 18 Treffern und 8 Torvorlagen für den Champions-League-Qualifikanten Mönchengladbach hat Reus bewiesen, welch entscheidende Rolle er spielen kann. Darauf will Dortmund aufbauen und aus dem verlorenen Sohn, der im Stadtteil Körne aufwuchs und in Asseln zur Realschule ging, einen noch besseren Spieler formen. Der Klub verspricht sich einiges vom Passkönig, der weder die hohen Erwartungen noch die enorme Ablöse als Hypothek sieht. „Ich freue mich einfach auf alles.“

Für einen kurzen Moment konnte Reus schon bei der Europameisterschaft zeigen, was auch auf der großen Bühne in ihm steckt. Beim Viertelfinalsieg über Griechenland war der Offensivspieler schlichtweg überragend und glänzte zudem mit einem Traumtor. Die englische Presse erfand damals vor lauter Begeisterung den netten Spitznamen Rolls-Reus, der ihm fast so gut steht wie „Woody“, wie er wegen seiner windschiefen Woody-Woodpecker-Friseur in Gladbach genannt wurde. Womöglich wäre der deutschen Elf das Halbfinalaus erspart geblieben, hätte Bundestrainer Joachim Löw den Mann, der die PS so eindrucksvoll auf die Straße brachte, in der Startelf gelassen.

Neustart – auch für die Borussia
So muss Reus, der als Vorbild den früheren Dortmunder Meisterspieler Tomas Rosicky nennt, in der Champions League auf den internationalen Durchbruch hoffen. Das wird den BVB freuen, denn gerade hier hat der Klub nach dem durchwachsenen Auftritt in der vergangenen Saison vieles gutzumachen. Die Königsklasse 2012/13 soll für Dortmund schließlich ein echter internationaler Neuanfang werden, keine bloße Rückkehr.

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