Löw schimpft über die „unnötigste Niederlage der vergangenen Jahre“

Die deutsche Nationalmannschaft lässt sich böse von Außenseiter Irland überraschen und macht sich die EM-Qualifikation auf der Zielgeraden noch mal schwer.

Die irischen Fans waren nicht mehr zu halten. Jeder Ballgewinn wurde bejubelt wie ein Tor im WM-Finale, jeder Einwurf gefeiert wie ein großer Titel. Als Schiedsrichter Carlos Caballo die Partie an der früheren Lansdown Road mit vier Minuten Verspätung abpfiff, gab es bei den Boys in Green kein Halten mehr. „I just can‘t get enough“ dröhnte aus den Lautsprechern, die Spieler lagen sich in den Armen, die Anhänger feierten eine große Party. Mit 1:0 hatte der Außenseiter geraden Weltmeister Deutschland in die Knie gezwungen. Während die Iren mit der kleinen Sensation ihre Chance auf die EM-Qualifikation wahrten, verpasste es die DFB-Elf, vorzeitig das Ticket für das Turnier 2016 in Frankreich zu buchen.

„Wir haben uns das selbst zuzuschreiben. In einigen Phasen haben wir zu pomadig gespielt“, sagte Joachim Löw später im Bauch des Stadions von Dublin. Der Bundestrainer war angefressen, obwohl seine Mannschaft trotz der Pleite Rang eins in der Gruppe D behauptete. Dank der Schützenhilfe aus Schottland, das den Konkurrenten Polen am Rande einer Niederlage hatte und letztlich ein Remis abtrotzte, kann Deutschland im letzten Spiel am Sonntag weiter die direkte Qualifikation und den Gruppensieg klarmachen. Aber für die ambitionierte DFB-Elf gehörte genau das eigentlich schon in Irland zum Pflichtprogramm. „Das war eine der unnötigsten Niederlagen der vergangenen Jahre“, sagt Löw sauer.

Der 55-Jährige ärgerte sich über die destruktive Spielweise des Gegners, aber auch die Nachlässigkeit seiner Mannschaft war ihm übel aufgestoßen. Denn das DFB-Team befand sich gegen den 54. der FIFA-Weltrangliste eigentlich auf gutem Wege. Vom kurzfristigen Ausfall Bastian Schweinsteigers hatte sich die Elf ebenso wenig aus dem Konzept bringen lassen wie von der Verletzung Mario Götzes. Der WM-Held musste nach gut einer halben Stunde mit Verdacht auf Adukktorenzerrung vom Platz. Deutschland zog ein konzentriertes und druckvolles Spiel auf, und musste dabei nicht einmal an die Leistungsgrenze gehen. Vier Großchancen sprangen dabei heraus, die das Spiel in die richtige Bahn hätten lenken müssen.

Doch wie schon in der gesamten, holprigen EM-Qualifikation ging das Team auch gegen die Boys in Green fahrlässig mit der Chancenverwertung um. Jerome Boateng (8. Minute), der gute Schweinsteiger-Ersatz Ilkay Gündogan (13.) sowie der erstmals seit Langem wieder umtriebige Mesut Özil (40.) scheiterten nur denkbar knapp. Der eingewechselte Andé Schürrle vergab leichtfertig kurz nach dem Seitenwechsel, als Torwart Manuel Neuer mit einem Wahnsinns-Abschlag Marco Reus auf die Reise schickte und der Dortmunder Nationalelf-Rückkehrer perfekt in die Mitte ablegte. „Dass wir hier ohne Tor wegfahren, ist eine Frechheit“, schimpfte Abwehrchef Boateng.

Für die ultradefensiv stehenden Iren, bei denen Rekordschütze Robbie Keane nur auf der Bank schmorte, war es schmeichelhaft, dass bis zur siebzigsten Minute eine Nullnummer auf der Anzeigetafel stand. Dann kam es sogar noch besser für das Team von Trainer Martin O‘Neill, das sich mit den einfachsten Mitteln gegen den Favoriten zu helfen wusste und geduldig auf den einen Fehler wartete. „Die Iren spielen hundert lange Bälle gegen uns“, wetterte Löw über die Zerstörungstaktitk der Gastgeber. „In 99 Fällen verteidigen wir das perfekt, nur das eine Mal nicht.“ Mit einem langen Abschlag überraschte Irlands Ersatzkeeper Darren Randolph die DFB-Abwehr, und Joker Shane Long donnerte den Ball zum Siegtreffer in die Maschen.

Verteidiger Mats Hummels dürfte sich an das jüngste Spitzenspiel in der Bundesliga erinnert gefühlt haben, denn erneut sah der Dortmunder in dieser Szene schlecht aus. „Da komme ich zu spät. Ich muss zwei Schritte tiefer stehen“, gab der BVB-Star selbstkritisch zu. Auch seine Abwehrkollegen Boateng und Jonas Hector kamen nicht mehr rechtzeitig zur Gefahrenstelle. Jetzt brachen im Stadion alle Dämme. Wirklich jeder Zweikampf, jede Spielunterbrechung wurde von den Anhängern frenetisch bejubelt.

„Zeitspiel, Schauspieleinlagen und unglückliche Schiedsrichtereinlagen – und dann haben wir den Salat“, fasste Thomas Müller den misslungenen Abend in der irischen Hauptstadt zusammen. Denn nun muss der Weltmeister im Gruppenfinale gegen den noch krasseren Außenseiter Georgien in ein Zitterspiel, bei dem Schweinsteiger höchstwahrscheinlich und Götze ziemlich sicher ausfallen werden. Bei einer Niederlage in Leipzig und einem gleichzeitigen Remis der Konkurrenten Polen und Irland würde die DFB-Elf sogar auf Rang drei abrutschen und müsste in einen Relegations-Showdown. Erstaunlich genug, dass der Bundestrainer vor einer Partie gegen den 110. der Weltrangliste fast kleinlaut sagen muss: „Wir haben es in der eigenen Hand, die Gruppe zu gewinnen.“

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