Borussia Dortmunds Reise zum Mond

Die Westfalen legen alle Zurückhaltung ab und greifen in der Champions League nun Europas Geldadel an. Eine Auftaktpleite bei Legia Warschau ist im ambitionierten BVB-Plan nicht vorgesehen.

(*Dieser Artikel lief am 13.9.2016 bei zdfsport.de*)

Im “Spagat zwischen Shanghai und Borsigplatz“ heißt die erste Station für Borussia Dortmund erst einmal Warschau. Zum Auftakt der Champions League muss der BVB bei Polens Meister Legia ran. Bei allem Respekt – ein echter Konkurrent ist der Königsklassen-Debütant nicht. Schwarz-Gelb will sich inzwischen lieber mit Global Playern messen. Mit Manchester United etwa, auch wenn der englische Umsatzriese dieses Jahr nur Europa League spielt, oder mit Manchester City.

Gegen beide trug Dortmund jüngst in Fernost lukrative Testspiele aus. Auf dieser Asienreise hat der BVB wohl auch beschlossen, zur Weltmarke aufzusteigen. Vor dem Saisonstart schüttelt Klub-Chef Hans-Joachim Watzke jedenfalls alle westfälische Bodenständigkeit ab und verkündet forsch seine Vision: “Wir wollen jetzt mit den großen Fischen schwimmen.“

Wachstum, Wachstum, Wachstum

Der ehrgeizige Unternehmer hat die Top-Ten Europas als Vereinsziel identifiziert: “Nur die zehn, zwölf größten Klubs stehen im Fokus der Sponsoren. Da müssen wir dabei sein“, forderte er kürzlich auf der Bilanz-PK der börsennotierten GmbH und Co. KgaA.

Deren Leitmotiv war unmissverständlich: Wachstum! Dank des spektakulären Transfersommers mit teuren Verkäufen von Spielern wie Mats Hummels oder Ilkay Gündogan präsentierte Dortmund einen Rekordumsatz von 376 Millionen Euro, der laut Watzke nur ein Zwischenschritt ist: “Wir wollen die 400-Millionen-Marke knacken.“

Den Weltmarkt im Visier

Watzke hat die Zeichen der Zeit erkannt. In der Meisterschaft, die sich immer weiter vom Faktor Spannung entkoppelt, hat Dortmund die Decke erreicht. In der Champions League zwingt die für 2018/19 beschlossene Reform alle ambitionierten Klubs, sich jetzt in Stellung zu bringen. Wer die Chance verpasst, ist weg vom Fenster.

Denn im Prinzip haben die UEFA als Ausrichter und die European Club Organisation als Gremium der wichtigsten Vereine des Kontinents beschlossen, Europas Fußball zu spalten: Die vier Top-Ligen bekommen je vier feste Startplätze, die Honorare der Königsklasse werden in etwa verdoppelt, der für die Formation der Gruppen wichtige UEFA-Koeffizient berücksichtigt künftig frühere Erfolge. Das zementiert den Status Quo der Etablierten.

Chance nutzen

Wie seit Ende der Achtziger in der Bundesliga, als der FC Bayern den Start des Privatfernsehens mit Geschick und Glück nutzte, um seinen Vorsprung auf Jahre auszubauen, und diesen später mit einem zwielichtigen Geheimvertrag mit TV-Mogul Leo Kirch absicherte, gilt es nun international die Gelegenheit zu ergreifen.

Die besten Klubs der Königsklasse können mit ihrer Popularität weltweit Kasse machen. Neben Asien locken die USA, auf diesen Markt will der BVB schon in zwei Jahren den Bayern folgen. Selbst Mittelamerika soll mittelfristig der schwarz-gelben Strahlkraft erliegen. Was sich heute anhört wie eine Reise zum Mond, könnte in wenigen Jahren Realität sein.

Unglückliche Wortwahl

Dortmunds Wachstumskurs bietet Chancen – und schafft Probleme. Beispiel Supercup 2016: Beim Duell mit Meister München ersetzten zahlreiche Tagesgäste den Stamm der noch fußballmüden 55.000 Dauerkarteninhaber. Das bescherte dem BVB im Fanshop die Rekord-Tageseinnahme von 400.000 Euro. Dafür herrschte im früheren Westfalenstadion eher kollektiv Familienblock-Stimmung.

Dazu rumort es an der Basis. Die Rückkehr von Reizfigur Mario Götze scheint noch das geringste Problem. Einige Ultras sind sauer, dass ihnen die Auswärts-Dauerkarten entzogen wurden. Der Kuschelkurs mit dem FC Bayern ist nicht jedem recht. Das Wintertrainingslager in Dubai bleibt umstritten, zumal Watzkes BWLer-Diktion nachhallt: “Wenn wir nur noch in Destinationen gehen, wo Menschenrechte zu hundert Prozent erfüllt werden, sind wir auf der Welt irgendwann alleine.“

Interne Kritik am BVB-Kurs

Der Umgang mit alten Helden wie Jakub Blaszczykowski oder Neven Subotic sorgte für Unmut, ebenso angefüttert durch Sprüche des BVB-Chefs: “Sollen alle Identifikationsfiguren spielen, bis sie 50 Jahre alt sind?“ In Fanklubs regt sich Widerstand, die “Echte Liebe“ endgültig als Marketing-Claim zu enttarnen. Im Netz wird geunkt, der Klub sei nun wie Bayern – nur ohne Titel. Beim Liga-Auftakt musste sich der Chef Kritik der Südtribüne gefallen lassen: “Watzke: viele Worte, wenig Taten. Identifikationsverlust auf Raten.“

Allein mit dem Versprechen, Ticket-, Wurst- und Bierpreise stabil zu halten, wird er die Hardcore-Fans nicht trösten, denn der Weg rüttelt an ihren moralischen Grundfesten: Wie sollen sendungsbewusste BVB-Traditionalisten gegen Retortenklubs wettern, wenn selbst RB Leipzig im Vergleich zu den Welteroberern wie ein nettes Start-Up daherkommt?

Druck wächst

Zudem wächst sportlich der Druck. Die Königsklasse wird bei Watzkes Vorgabe zum Muss, zumal die Personalkosten stetig steigen. In dieser Saison wird der Kader-Etat klar über hundert Millionen Euro liegen, etwa doppelt so hoch wie im Meisterjahr 2011. Dabei hat Trainer Thomas Tuchel mit seinem Team aktuell den größten Umbuch der jüngeren Vereinsgeschichte zu bewältigen.

Die erneute direkte Qualifikation für die Königsklasse ist kein Selbstläufer. Wie groß die Anpassungs-Probleme sind, war zum Saisonstart beim knappen Sieg über Mainz und erst recht bei der Pleite in Leipzig zu sehen. Spätestens übernachste Saison wird sogar das Überwintern in der Champions League Pflicht, da es dann mit 50 Millionen Euro aufwärts vergütet ist. Nur die regelmäßige Achtelfinal-Teilnahme ließe Watzkes Vision Wirklichkeit werden, mit den großen Fischen zu schwimmen.

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